Ultra-Trail du Tour du Mont-Blanc 2006

25. bis 27. August 2006 (158 km, 8500 Hm)

Nachdem meine Frau dieses Jahr in Februar verstarb, empfahl mir unsere Trauzeugin Gabi einen Monat später die Teilnahme am UTMB um mich ein wenig abzulenken. Für 2006 waren 500 zusätzliche Startplätze zu vergeben. Irgendwie automatisch hörte ich auf diese Empfehlung und füllte das Online-Formular aus. Schon 14 Tage später bekam ich eine Nachricht, dass ich einen Gewinn gezogen hatte. Ich war drin und wusste nicht so recht, ob ich mich freuen sollte oder nicht.

Vorgeschichte

Zum Training bin ich dieses Jahr irgendwie trotzdem nicht gekommen und drehte nur moderat meine Runden. Viele Kilometer sind dabei nicht zusammen gekommen. Immer wieder riefen die Außenanlagen um unser Haus: Stützmauer, Auffüllen, Pflastern, usw. Abends war ich manchmal so fertig, dass ich lieber ein Bierchen trank als eine Runde zu laufen. Gott sei Dank gibt es den selbst gegründeten Lauftreff in unserem 600 Seelen Örtchen, sodass ich die moralische Verpflichtung hatte, wenigstens zweimal in der Woche laufen zu gehen. Nur in meinen zwei Urlaubswochen im Juni kam ich auf 168 bzw. 110 km. Das war schon besser. Allerdings waren Juli und August mit im Schnitt 60 km pro Woche nicht gerade eine gute Voraussetzung.

Anreise

Über das Internetforum Laufen-im-Saarland.de fand ich in Mathias einen idealen Mitfahrer. Die 8 Stunden nach Chamonix am Vortag des Laufes waren Ruckzuck vorbei. Mathias wollte nach eigenen Aussagen nur den "Bambinilauf" von Courmayeur nach Chamonix laufen. Bambinilauf Puh! Immerhin sind das auch 86 km mit 4,500 Höhenmetern.

Wir übernachteten in eine Berghütte am Lac d'Emosson, an der Grenze zwischen Schweiz und Frankreich. Dort waren wir mit Jürgen Köllner, Shakal Ryan, Georg Weiß und Anke Drescher verabredet. Unterwegs dahin rief Jürgen an und sagte, sie wären schon in Chamonix, also fuhren wir auch erst mal sofort dahin. Die Startnummern konnte man bis 18:00 Uhr abholen und wir waren gerade noch rechtzeitig in der Sporthalle. Die Startnummerausgabe verlief sehr organisiert. Trotz einer recht langen Schlange ging es zügig voran. Als erstes kam die Anmeldung. Dann weiter zur Kontrolle der Pflichtausrüstung. Folgendes musste man vorweisen: 2 Taschen-/Stirnlampen, Reservebatterien, Überlebensdecke, Trillerpfeife, Tape, lange Tights, Schirmmütze, Riegel und 1 Liter Wasser. Mit einem Formular das bestätigte, dass alles in Ordnung war, wurde man weiter geschleust und bekam seine Startnummer und ein Funktions-T-Shirt. Am Ausgang gab es noch auf Wunsch ein Gummiband für die Startnummer.

An der Statue im Zentrum von Chamonix trafen wir uns mit Shakal Ryan, Jürgen Köllner, Gabi Leidner, Peter Gründling, Edgar Kluge und Klaus. Zu acht setzten wir uns auf eine Terrasse, aßen, tranken und hatten jede Menge Vorfreude. Überall waren Läufer zu erkennen. Viele uns bekannte Gesichter spazierten vorbei. Viele freundliche Umarmungen fanden statt. Um 21:30 Uhr fuhren wir wieder zurück zum Lac d'Emosson wo Georg und Anke mittlerweile auch eingetroffen waren. Keine 10 Minuten später lag jeder in Bett. Morgen gab es schweres zu schaffen.

Start

Mathias und ich fuhren schon früh nach Chamonix, denn der Start des "Bambinilauf" war um 12:00 Uhr in Courmayeur. Mathias besorgte sich schnell noch eine Trinkblase, weil seine undicht war. Dann brachte ich ihm zum Bus nach Courmayeur. Gemütlich schlenderte ich durchs Zentrum und zum Start, frühstückte auf einer Terrasse unmittelbar am Start und schaute mir das Treiben zur Vorbereitung des UTMB an. Nach einem eher kurzen Spaziergang durch die Fußgängerzone und einem weiteren Terrassenbesuch zusammen mit vielen DUV-Bekannten lief ich zurück zum Auto, füllte die Plastiktüten der Organisation mit Wechselkleidung und Schuhen. Die wurden dann von der Organisation nach Courmayeur, bzw. Champex-Lac verfrachtet. Dort gab es Duschgelegenheit und die Möglichkeit zum Kleiderwechsel.

Wieder beim Auto angekommen habe ich mich umgezogen, denn mittlerweile waren die meisten schon mit Startnummern versehen. Samt Rucksack begab ich mich zum Start. Da traf ich wieder auf alle Bekannten. Klaus, Edgar und ich orientierten uns eher nach hinten. Wir bekamen noch ein Briefing wovon ich gerade mal nichts verstanden habe. Mit "Conquest of Paradise" von Vangelis wurde zum Start heruntergezählt. Das ganze hatte was Dramatisches und ich bekam eine Gänsehaut, auf niederländisch auch "Ameisentitten" genannt.

2500 Teilnehmer setzten sich in Bewegung. Es dauerte doch etwa 5 Minuten bis wir durch den Startbogen wanderten. Durch die schmale Gasse konnten wir erst nach 8 Minuten unsere ersten Laufschritten machen. Ich lief durch ein Spalier von Zuschauern, die uns frenetisch zujubelten und merkte, dass die sehr genau wussten, worauf wir uns einließen.

Aus Chamonix heraus liefen wir über eine breite Teerstrasse. Nach etwa 2 km ging es dann rechts in den Wald hinein. Hier konnte man gut laufen und wir müßten, trotz Rucksack, etwa einen 6:30er Schnitt drauf gehabt haben. Jeder machte sein Ding und bald verlor ich Klaus und Edgar aus den Augen. Bisher benutzte noch niemand die Stöcke, denn es war brettflach. Nach etwa 8 km ging es dann zum ersten Male etwas bergauf. Wir gelangten wieder auf eine Teerstraße in Les Houches. Dort war auch der erste Verpflegungspunkt. Es gab ein Riesengedränge und keine Chance etwas abzubekommen, also entschied ich mich sofort weiterzulaufen. Damit überholte ich mindestens 200 Teilnehmer.

Abends

Außerhalb von Les Houches ging es sofort steil hinauf. So steil, dass ich, wie auch alle anderen, aufs Laufen verzichtete. Viele benutzten hier schon ihre Stöcke, ich nicht. Ich drückte mich flott bergauf und überholte wieder eine Menge Teilnehmer. Vielleicht war ich übermütig, aber irgendwie fand ich es dämlich hier schon Stöcke zu benutzen. Sofort riefen mir auch einige zu: "Pas des Battons?", was so viel heißt wie: "Keine Stöcke?". Das ermunterte mich noch mehr und fix überholte ich noch mehr. Col de Voza hieß dieser erste Berg und sollte uns erst mal ein wenig einstimmen. Sehr steil war er nicht, aber immerhin etwa 700 Höhenmeter. Oben angekommen fing es an zu dämmern. Bergab ist mein Ding und flott überholte ich wieder einige.

Die nächste Verpflegung war in La Villette. Da waren wieder viel zu viele am "Buffet". Ich habe doch nicht umsonst Eigenverpflegung dabei, dachte ich noch und rannte wieder etwa an 200 Teilnehmern vorbei. Es ging überwiegend bergab und ich traf auf Hugh, der in Schottenrock lief. Wir kennen uns von vielen Ultras und Marathons. Er war ganz vorne gestartet. Ich hatte ihn nämlich schon auf dem Großleinwand am Start erkannt. Wir liefen eine Viertelstunde zusammen und ich verabschiedete mich dann mit den Worten: "Ich muß die Bergab-Passagen auskosten. Wir sehen uns." Mittlerweile war es dunkel. Meine Gedärme meldeten sich und ich mußte in die Büsche. Da wir gerade in Les Contamines einliefen hatte ich kaum eine Wahl. Ich verschwand hinter einer Kapelle. Weiter im Dorf liefen wir wieder durch ein Spalier von Zuschauern. Wieder hatte ich Gänsehaut. Auf dem Dorfplatz war die Verpflegung aufgebaut. Es kam mir vor wie auf dem Jahrmarkt, so eine Geselligkeit fand ich vor. Ich trank Cola, aß TUC-Biscuits und lief dann sofort wieder los. Wieder 100 Teilnehmer hinter mir lassend.

Wieder mußte ich in die Büsche. Ärgerlich. So langsam fing der Anstieg zur La Balme an. Mittlerweile gab es schon deutliche Abstände zwischen den einzelnen Teilnehmern. Auch ich holte jetzt meine Stocke hervor, denn ich mußte mit leichten Unterleibskrämpfen wieder in die Büsche. Da ich meinen Rucksack dafür sowieso ablegen musste, um Papier herauszuholen, schraubte ich auch gleich mal meine Stöcke auf die richtige Länge. Weiter ging's. Leider nicht so schnell, denn langsam aber sicher überholten die anderen mich. Mich irritierten immer noch meine Bauchkrämpfe. Ständig bergaufwärts kam ich dann endlich in La Balme an. Von weitem konnte ich diese Stelle schon erkennen, sie kam und kam aber nicht näher.

Die 1. Nacht

An der Verpflegung dort traf ich auf Jürgen. Nach einem kurzen Wortwechsel verschwand ich hinter einen Geländewagen und musste sofort meine Hose herunterlassen. Das war das letzte mal, alles war raus und die Bauchschmerzen waren weg. Jürgen allerdings auch. Ich wusste nicht, ob er jetzt vor oder hinter mir lag. Ab jetzt war überholen kaum möglich. Es kam der Steilanstieg zum Refuge de la Croix du Bonhomme. Meine Fresse. Was hat die Organisation sich hierbei gedacht? Wer den Jungfrau-Marathon zwischen km 39 und 41 kennt, hat wenigstens eine kleine Vorstellung wie es hier aussah. Es war steiler, da bin ich mir sicher. Mit den Augen auf Fersenhöhe meiner Vorgänger ließ ich kein Zwischenraum entstehen, sodass überholen nicht möglich war. Jedes Mal wenn jemand eine Verschnaufpause machte, schloss ich sofort an seine Vorgänger auf. Das ging so mehr als eine Stunde. Noch waren wir nicht oben und ich wagte mal einen Blick hinunter. Was ich da sah war atemberaubend: In der klaren Nacht sah ich einen Wurm von Stirnlampen schlangenförmig bis ins Tal. Das gab wieder mal Gänsehaut. Nach oben schauend konnte man genau sehen, wo man sich in einer halbe Stunde befinden würde.

Tatsächlich dauerte es noch mehr als eine halbe Stunde bis ich ganz oben war. Ich freute mich schon auf den nächtlichen Abstieg. Da würde ich wieder an einigen Leuten vorbeirennen. Aber: zu früh gefreut. Die Bergabstrecke entpuppte sich als äußerst schwierig. Schräge Felsen, glatte Bachläufe, rutschige Wiesen und grober Belag machten uns das Leben schwer. Ich war letztendlich froh überhaupt mithalten zu können. Etwas tiefer unten würde das Laufen langsam leichter. Die Muskulatur war völlig zugesetzt, aber da überholte mich jemand und ich folgte sofort und hing mich an seine Fersen. So überholte ich in höchster Geschwindigkeit wieder Hugh, der sich irgendwie durch meine viele Buschbesuche wieder vor mich "gemogelt" hat. Leider hatte ich keine Zeit, jetzt was zu sagen, denn wir waren astronomisch viel schneller als der Rest. Die letzten 2 km bergab liefen über einen Weg, der mit Grasbelag versehen war. Was für ein herrlicher Belag. Wir wurden noch schneller und bald trafen wir bei der nächsten Verpflegung in Les Chapieux ein.

Hier war ein fröhliches Treiben mit guter Stimmung. Ich ließ meine Flaschen wieder mit Iso auffüllen, nahm eine Suppe, zwei Cola und ein Salamibrötchen, setzte mich hin und sprach ein paar freundliche Worte mit zwei französischen Teilnehmern. Bald wünschte ich ein "Bon Courage" und begab mich vom Zelt wieder auf die Strecke. Die Musik war spitze: "Smoke on the Water" von Deep Purple und das um 4 Uhr mitten in der Nacht irgendwo oben in den Alpen. Was für eine Kulisse. 9 Stunden war ich schon am Rennen. Schnell wieder die Stirnlampe an und los geht's. Aber was war das? "Wo ist meine Stirnlampe? Scheiße, wo ist meine Stirnlampe?" Mein Herz sackte in meine Hose. Verdammt noch mal, meine schöne neue Stirnlampe, die mehr Licht verbreitete als alle anderen, die ich gesehen hatte. Schnell zurück im Zelt. Da war auch schon der Mann, der mir so freundlich beim Flaschenfüllen geholfen hatte. "Ah oui, ton illumination est trouve" oder so ähnlich sagte er mir. "Herge hat es eingesteckt, aber wo ist Herge?" Meine operative Hektik ließ noch einige Helfer mithören, aber keiner konnte sagen, wo sich Herge im Moment befand. Wie man in der Wüste ein Krawattenverkäufer vorfindet stand da doch tatsächlich ein Werbestand von Petzl, mit genau der Lampe, die ich vergangene Woche gekauft hatte. Der Mann hinter dem Stand hatte alles mitbekommen, holte unter dem Tisch eine alte Funzel hervor und wollte mir die geben. Da schlug ich ihn vor: "Gib mir doch bitte die da oben, du bekommst dann meine Lampe von Herge wieder!" Zögernd tat er das. Dann glaubte ich meine Augen nicht: Er tauschte sogar die Batterien gegen drei neue aus. Da war ich Baff. Mehrmals dankte ich ihm und grüßte alle anderen um mich herum, die alles mitbekommen hatten. Insgesamt müßte ich da etwa 8 Minuten verloren haben.

Voller Adrenalin machte ich mich wieder auf den Weg. Es war eine breite Teerstrasse, die ständig bergauf ging. Mit meinen Stöcken stiefelte ich deutlich schneller als der Rest hinauf. Nach eine Stunde Teerstraße müßte ich doch meine 8 Minuten wieder gutgemacht haben. Es fing jetzt wieder ein schmaler Bergweg zum Col de la Seigne an. Die Läufer lagen jetzt noch weiter auseinander. Ständig konnte ich Grüppchen überholen. Mir ging's nach 11 Stunden saugut. Fast oben angekommen, wurde es langsam wieder hell. Das Gras war gefroren. Wir waren wieder auf 2600 Meter Höhe. Gegen einen straffen Wind fing ich das Herunterrennen an. Anfangs lief es einigermaßen gut, aber als wir wieder auf eine Schotterpiste kamen, da merkte ich doch meine Muskulatur und meine Müdigkeit. Ich knickte ein paar Mal um, konnte mich aber rechtzeitig wieder fangen. Ich nahm Tempo heraus und ließ mich von einigen überholen. Kurz vor dem Refuge Elisabetta kam noch ein fieses Steilstück, in dem man nicht überholen konnte. Ich war da extrem vorsichtig und denke, das haben einigen hinter mir verflucht. Nach 200 Metern war auch das zu Ende und ich machte bei der Verpflegung 5 Minuten Pause. Die normale Prozedur: Bouillon, TUC, 2 Cola und ein Becher Iso. Ein wenig dehnen und schon war ich wieder auf der Strecke.

Der nächste Tag

Es kamen geschätzte 2 km gut laufbare flache Strecke am Lac le Combal, die ich auch wirklich lief. Leider ging das nicht mehr so schnell, etwa ein 7:00er Schnitt müßte es gewesen sein. Auf einmal zeigten die Banderolen, dass wir steil rechts hinauf mußten. Ich hatte schon verdrängt, dass wieder eine große Steigung anstand. Arete mon Favre hieß dieser Berg. Der war auch steil. Wieder drückte ich mit Hilfe meine Stöcke hoch. Irgendwo mitten im Hang kam der Hubschrauber der Organisation vorbei. Die filmten, wie wir am Berg hängend uns hoch drückten. Wieder hatte ich eine Gänsehaut. Ich bin mitten im Geschehen drin. Dieser Berg dauerte ewig und ewig, hatte ich das Gefühl. Eine kurze Pause mit Blick auf die Streckenbeschreibung lehrte mich erst hier, dass wir schon im Anstieg zum dritten 2600er waren. Kein Wunder dass das hier ewig dauerte. Fleißig bin ich dann weiter hochgestiefelt und war froh, endlich oben angekommen zu sein.

Ab hier gab es einen kurzen aber kernigen Abstieg, bei dem ich Probleme hatte, meine Füße kontrolliert auf dem Boden zu platzieren. Mit schlotternden Knien bewegte ich mich bergab und ließ mich regelmäßig von Mitstreitern überholen. Die Strecke flachte dann ab, aber ich hatte kaum Kräfte, dieses auszukosten. Eine knappe Stunde ging es jetzt leicht bergab. Ich hatte das Gefühl, mich hätten schon wieder über 100 Läufer überholt. Dann kam der Steilabstieg nach Courmayeur, eine sehr ungemütliche und steile Bergabstrecke, teils sehr sandig und immer wieder mit hölzernen Regenrinnen quer über den Weg. Es kostete mich viel Kraft, immer wieder über diese Hölzer zu kommen ohne dabei zu stolpern. Die sandigen Abschnitte kurz vor Courmayeur raubten mir den letzten Nerv. Heilfroh lief ich über Asphalt in Courmayeur zur Verpflegungshalle. Hier gab's eine Duschgelegenheit, eine warme Mahlzeit, meine frische Klamotten und andere Schuhe. Beim Einlauf in die Hallen begegnete ich Klaus. Er wollte sich gerade wieder auf den Weg machen. Ich dachte noch: "Ist er so langsam oder bin ich so schnell?". Hier hatte ich mittlerweile 2,5 Stunde Vorsprung auf die Cut-Off Zeiten.

Drinnen fand ich ein hektisches Treiben vor: Gepäckausgabe, Massagetische, Duschen und Kantine mit einer Schlange wartender Teilnehmer. Nachdem ich mein Gepäck in Empfang genommen hatte, duschte ich zügig, zog kurze Klamotten an und entschied mich wegen dem guten und warmen Wetter für normale Turnschuhe. Das warme Essen stellte sich als eine Ente heraus . Weil momentan keine Soße verfügbar war, bekam ich Rigatoni mit Parmesan und Olivenöl aus der Flasche. Nach 2 Happen habe ich den Rest in den Mülleimer gekippt. Ich aß einige TUC-Cracker, trank Cola und Iso, füllte meine Flaschen auf und hängte meinen Rucksack um. Schnell raus hier, das ist nur Zeitverschwendung. So ungemütlich fand ich es hier.

Wieder draußen, wußte ich nicht wo ich mich melden musste, um wieder auf die Strecke zu gehen. Nachfrage ergab: Lauf einfach los! Aus dem Laufen wurde erst mal einen Kilometer lang ein zügiges Spazieren, um wieder flott zu werden. Ich versuchte ein leichtes Joggen auf der Asphaltstraße in Courmayeur. Die Strecke ging aber wieder ordentlich bergauf und ich verfiel wieder in zügiges Gehen. Bald war ich wieder zurück in den Bergen. Ein plötzlicher Rechtsknick wurde von einigen Läufern vor mir übersehen. Ich rief sie zurück und begab mich auf den nächsten Steilanstieg zum Refuge Bertone. Die Sonne knallte auf meinem Kopf und ich entschied, ganz ruhig wie ein Bergwanderer hinaufzuwandern. Dabei wurde ich bald von einem Irrläufer mit einem "Merci bien" überholt. Ich musste wirklich nur eine relativ kurze Pause in Courmayeur gemacht haben, denn diesen Läufer kannte ich noch nicht. Ich beharrte auf meinem Bergwanderschritt. Nach einer guten Stunde mit einigen kurzen Pausen lief wieder Jürgen auf mich auf. Er war gut drauf und deutlich schneller als ich. Trotzdem blieb ich beharrlich bei meinen Bergwanderschritt.

Oben angekommen, waren meine beiden Trinkflaschen leer. Die Hitze und der steile Anstieg hatten mir zu schaffen gemacht. Beim Refuge Bertone machte ich keine Pause, füllte nur meine Flaschen auf und verschwand wieder auf die Strecke. Dabei muss ich Jürgen wieder überholt haben, weil er eine gute halbe Stunde später wieder auf mich auflief. Gemeinsam liefen wir dieser relativ leichtes Stück Bergweg zum Refuge Bonatti. Die Sonne war weg und der Himmel zog sich zu. Ideales Laufwetter. Wir gönnten uns fünf Minuten Pause beim Refuge Bonatti. Der Steilabstieg nach Arnuva konnte der Jürgen bestimmt schneller laufen als ich, aber er blieb bei mir. Er wollte sich schonen für den anstehenden Col de Ferret, dem höchsten Punkt beim diesjährigen UTMB. Es wurde immer dunkler und es fing sogar an zu tröpfeln. Der Regen setzte sich aber noch nicht durch und trocken erreichten wir Arnuva. Ich hatte das Bergablaufen satt. Mittlerweile waren wir schon über 21 Stunden unterwegs. Merkwürdigerweise war ich nicht müde im eigentlichen Sinne, nur meine Muskulatur konnte eine Massage brauchen.

In etwa gemeinsam starteten wir zum Refuge Elena. Zum kotzen steil ging es wieder hinauf. Sogar das langsame hochdrücken kostete mich alle Kräfte. Irgendwie ging es uns besser als dem Rest, denn wir überholten einige. Beim Refuge Elena war keine Verpflegung vorgesehen. Wir zogen unsere Regenjacken an, da es mittlerweile kräftig regnete. Das einzige an was ich mich noch vom Col de Ferret erinnere ist, dass ich unter meiner Kapuze eine Stunde lang nur die Fersen von Jürgen vor Augen hatte. Meine Gedanken setzten aus und mechanisch "trottete" ich ihm hinterher. Mittlerweile gab es so viel Matsch, dass ich mit meinen glatten Schuhen Jürgen ziehen lassen mußte. 7 Minuten nach Jürgen passierte ich den Col de Ferret. Er hat auf mich gewartet. "Jetzt glaube ich, dass ich es schaffe zu finishen", sagte ich zu Jürgen. Erst mal erfreuliche 20 km bergab. Das kann also nicht so steil und schwierig werden. Mit gut 23 Stunden waren wir 3 Stunden vor dem Cut-Off.

Wieder abends

Mit so einer Matschstrecke, die bei trockenem Wetter sicherlich gut laufbar gewesen wäre, hatte ich aber nicht gerechnet. Bald musste ich Jürgen endgültig ziehen lassen. Sehr oft musste ich Umwege durch die Wiesen machen. Das war zwar auch schwierig, aber wenigstens nicht so glatt, sodass ich überhaupt vorankam. Ich wurde ständig überholt und verfluchte meine falsche Schuhwahl. Die Strecke war so glitschig, dass auch andere mit gutem Profil wie auf Eis herunterschlitterten. Endlich war die Verpflegung in La Peulaz in Sicht. Noch eine kurze Steilpassage und ich war im Kuhstall. Die Verpflegung war nach innen verlegt worden und dampfend saßen etwa 50 Teilnehmer mehr oder weniger ungemütlich herum. Die Stimmung war bei mir auf dem Tiefpunkt angelangt. Nach der üblichen Verpflegung ging ich wieder heraus in den Regen.

Was ich dann sah, verschlug mir die Sprache: Senkrecht zu den Höhenlinien waren rot-weiße Bänder gespannt. Da sollten wir also senkrecht zu den Höhenlinien herunter. Erst dachte ich an einen Scherz aber nachdem es mir zwei andere vormachten, kam ich zögerlich hinterher. Sofort lag ich auf meinem Hintern. Mit den Stöcken und ganz vorsichtig schlitternd kam ich hinunter. Mein Herz raste, denn das war nicht ungefährlich. Es kann nicht schlimmer kommen und bald würde bestimmt wieder ein gut laufbares Stück kommen. Aber es kam schlimmer und zwar so schlimm, dass ich panisch nach Alternativen Ausschau hielt. Wir kreuzen eine Straße aber ich traute mich nicht auf diese Alternative, denn wer weiß, ist das vielleicht völlig die falsche Richtung. Ich bin dort 1000 Tode gestorben. Nach langer Zeit kam dann endlich die von mir ersehnte Asphaltstraße. Wieviel Vorsprung würde Jürgen jetzt haben? Kann ich das wieder gutmachen? Ich setzte an zu einem recht zügigen Lauf. Vielen müssen gestaunt haben. "Wo kommt denn der Irre her?" Mein Adrenalin und die Wut im Bauch ließen mich immer schneller bergab laufen. Herrlich! Ich spürte den Regen auf einmal nicht mehr, obwohl es wie aus Kübeln herunterkam. Da alle anderen irgendwie nur stramm bergab spazierten und ich einen 5er Schnitt drauf hatte, sammelte ich zügig einen nach dem anderen ein. Im Dorf La Fouly waren trotz Regenwetter einige Zuschauer. Ich war der einzige der lief und bekam dafür extra Anfeuerungen.

Vor lauter Anstrengungen habe ich die Dämmerung gar nicht bemerkt und deswegen war es auch mehr oder weniger dunkel als ich bei der Verpflegung in La Fouly ankam. Hier waren also 102 km geschafft. Wer bis hier kommt, wird in die Wertung aufgenommen. So, das ist erst mal geschafft. Mal schauen ob Jürgen noch hier ist. Ich habe ihn dort nicht vorgefunden. Überhaupt sah ich kein bekanntes Gesicht. Ich setzte mich hin, aß eine Suppe und wechselte meine nasse Stümpfe, was ein unangenehmes Unterfangen war, da ich nicht mehr so gelenkig war. Krämpfe hatte ich aber keine. Meine Knöchel schmerzen, wahrscheinlich von dem ewigen Aneinanderreiben beim Herunterschlittern weiter oben. Ansonsten war eigentlich alles OK. Nur verspürte ich irgendwie keine große Lust, weiterzumachen. Fast 26 Stunden unterwegs, kein Schlaf, unangenehmer Regen, schmerzende Knöchel und müde Beine. Ich überlegte ob ich nicht aufhören sollte,… Aber nein, ich bin nicht hier, um vorzeitig auszusteigen. Im Vorhinein war klar, dass es kein Spaziergang werden würde. Jetzt war ich mittendrin und fühlte mich elend. Was hätte ich sonst erwarten können? Da gibt es nur eins: weitermachen. Erst mal die nächsten 9 km bis Praz de Fort schaffen. Dann sehen wir wieder weiter. Immerhin hatte ich immer noch 3 Stunden Vorsprung auf den Cut-Off.

Die 2. Nacht

Missmutig zog ich meine Regenjacke wieder an, packte den Rucksack wieder auf den Rücken, nahm meine Stirnlampe und verschwand wieder nach draußen. Es regnete immer noch. So ein Mist. Vorsichtig bewegte ich mich wieder auf die Piste. Anfänglich mußte ich ein wenig nach den Streckenmarkierungen suchen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, wieder zurück zu laufen aber nachdem ich wieder überholt wurde legte sich diese Unsicherheit. Fleißig joggte ich wieder am Bach entlang und konnte in etwa meine Position halten. Meine Knöchel schmerzten mehr und mehr. Auf einmal stand ein Mann im Wald. Er entpuppte sich als Streckenkontrolle und nahm unsere Nummern auf. Wahrscheinlich gibt es eine einfachere Alternative hier und das versucht die Organisation so zu kontrollieren.

Ab dieser Kontrolle ging es weiter auf einem schmalen Pfad leicht bergauf. Mir ging es zunehmend schlechter, hatte immer mehr Schmerzen beim Auftreten. Links von mir ging es so steil im Wald bergauf, dass ich mich gegen den Boden anlehnen konnte. Rechts von mir ging es genauso steil bergab. Ich konnte nicht mal sehen, wie tief es hier hinab ging. Der Pfad war keinen halben Meter breit. Ich ging vor lauter Schmerzen ganz langsam. Es war vielleicht doch eine schlechte Entscheidung, weiterzulaufen. Ständig überholten mich kleine Grüppchen von Läufern. Das gestaltete sich wie folgt: jedes Mal, wenn ich Läufer hinter mir hörte, lehnte ich mich links an die "Wand". Meine Stöcke nach vorne und hinten, den Rucksack zwischen Wand und mir, den Kopf unter der Kapuze nach hinten, damit ich sah, wann ich wieder weitergehen konnte. Damit war der halbe Pfad frei und ein Überholen überhaupt erst möglich. So habe ich 2,5 Stunde für geschätzte 3 km gebraucht. Am Ende stolperte ich auf irgendeinem Damm über jede Baumwurzel. "Wann nimmt diese Quälerei ein Ende?" Schließlich war der Damm dann endlich zu Ende und ich befand mich auf einen Asphaltweg. Praz de Fort lag vor mir. Der Asphalt erlaubte mir auf jeden Fall ein stolperfreies Fortbewegen. Ich musste aber noch durch das ganze Dorf eiern. An der Verpflegung war mir klar. Hier endet mein UTMB-Abenteuer. Nach 110,5 km in knapp 29 Stunden war ich nicht mal mehr in der Lage mich hinzusetzen, geschweige denn wieder hoch zu kommen. Ich meldete mich ab und fühlte mich traurig. Meine 3 Stunden Vorsprung waren auf eine geschrumpft. Es wäre also möglich, weiter zu machen aber meine Füße machten nicht mehr mit. Mir wurde eine Ecke aus meiner Startnummer geschnitten und ich bekam einen Coupon für ein "Arrival-T-Shirt"

Bald wurde ich mit einem Kleinbus über Umwege nach Champex-Lac verfrachtet. Da bekam ich meine Wechselkleidung, Dusche und fuhr mit dem Großbus 1,5 Stunden nach Chamonix. In Chamonix bin ich nicht eigenhändig aus dem Bus gekommen und wurde auf einen Massagetisch gelegt. Ich stimmte einer Massage zu und bekam Voltaren auf die Innenknöchel. Da bemerkte ich erst mal beide Schwellungen der Innenbänder. Nebenan waren in der Halle Feldbetten aufgestellt. Es lagen schon geschätzte 300 Leutchen dort. Ich legte mich hin und schlief von 5 Uhr bis mittags 12 Uhr.

Im Ziel

Geweckt wurde ich von Georg. Er hat mit Anke in 36:46 h gefinished. Ich schämte mich irgendwie. Nach einer kurzen Plauderei stand ich auf und bewegte mich vorsichtig zum Auto, zog mich um und begab mich Richtung Zieleinlauf. Ich traf auf alle anderen. Es stellte sich heraus, dass auch Klaus, Peter und Edgar es nicht geschafft hatten, jeder mit seiner eigenen Geschichte. Jürgen war nach 41:27 Stunden im Ziel, Shakal sogar in unter 35 Stunden aber der Hammer war Jens Lukas. Er schaffte den 4. Platz in 22:15 Stunden. Der Hammer. Er ist zwar ein guter Läufer, aber er war trotzdem sichtlich froh, dieses Ding so gut überstanden zu haben.

Zu fünft sind wir zum Italiener an der Strecke gegangen und haben dort was gegessen. Die Bedienung war der Hammer. Dabei ist Dienstleistungswüste Deutschland eine Oase. Abends gab's noch ein festliches Abendmahl im Festzelt in der Form eines Buffets. Unsere ganze Clique ist dort mehr oder weniger bis zum Schluss sitzen geblieben. Dabei ist das Kronenburg-Bier reichlich geflossen.

Der Lauf ist der Hammer. Er ist für mich allerdings noch unerledigt. Das Schicksal will also, dass ich 2007 noch mal antreten "muß". Dafür habe ich schon mal ein paar Tipps von den guten deutschen Läufern aufgeschnappt und werde nächstes Jahr hoffentlich noch besser präpariert an den Start gehen können.

Wer jetzt noch ein paar Eindrücke vermittelt bekommen möchte: