Nikolaus in den Niederlanden

Alles über Sinterklaas

Das Nikolausfest wird in Holland und Flandern seit Jahrhunderten auf ganz besondere Weise begangen. Während es in den meisten katholischen Ländern vor allem ein Fest für die Kinder ist, wird es hier - vor allem in Holland - am Vorabend des 6. Dezember von jung und alt, von Christen wie von Nichtchristen im ganzen Land gefeiert. Obwohl Sinterklaas, wie der Nikolaus hierzulande heißt, immer in der Robe eines Bischofs, der er einst war, erscheint, hat seine Heiligsprechung durch die Kirche für die Niederländer nie eine Rolle gespielt. Für sie ist er eher eine Art spendabler Supermann, und an seinem Festtag werden Geschenke verteilt und Bekannte und Freunde nach Herzenslust auf die Schippe genommen. Die Legende des heiligen Nikolaus geht auf eine historische Begebenheit zurück. Es hat ihn wirklich gegeben. Er lebte vom Jahre 271 bis zum 6. Dezember 342 oder 343. Sein Grab aus dem 4. Jahrhundert in Myra in der heutigen Türkei wurde von Archäologen freigelegt.

Die Geschichte von Sinterklaas

Als Sohn einer wohlhabenden Familie wurde Nikolaus zum frommen Christen erzogen. Als seine Eltern einer Epidemie zum Opfer fielen, verteilte er sein Vermögen unter die Armen und wurde Priester. Später wurde er Erzbischof von Myra, und von dort aus verbreitete sich in den Mittelmeerländern die Kunde von seinen guten Taten. Er bändigte die Stürme, wenn verzweifelte Seeleute ihn um Hilfe anriefen. Gefängnismauern stürzten ein, sobald zu Unrecht Verfolgte zu ihm betten. Er rettete kleine Kinder vor dem Messer eines Metzgers und legte armen Mädchen eine Mitgift in die Schuhe. Nikolaus wurde im Laufe der Zeit zum Schutzheiligen der Seefahrer und Kaufleute und besonders der Kinder. Nach seinem Tod breitete sich die Nikolaus-Verehrung rasch auf Süditalien und dann auf die Hafenstädte der Atlantik- und Nordseeküste aus. Im 12. und 13. Jahrhundert entstanden in Holland sage und schreibe 23 Sankt-Nikolaus-Kirchen, von denen viele noch erhalten sind. Amsterdam machte Nikolaus zu seinem Schutzheiligen, und Rom erklärte den 6. Dezember, Nikolaus' Todestag, zum offiziellen Feiertag.

Die große Bedeutung, die Sankt Nikolaus für die Bewohner der Niederlande und Flanderns hatte, ist vor allem auf seine Rolle als Schutzheiliger der Kaufleute und Seefahrer zurückzuführen; Handel und Schiffahrt spielten in diesen Gebieten schließlich eine wichtige Rolle. Doch schon bald sollte sein Ruf als Wohltäter der Kinder stärker in den Mittelpunkt rücken. Im 14. Jahrhundert hatten die Chorknaben der Sankt-Nikolaus-Kirchen am 6. Dezember frei, und sie bekamen ein wenig Geld. Später dann wurden Klosterschüler an diesem Tag von einem als Bischof verkleideten Mönch bestraft oder belohnt; schon damals trug Nikolaus einen langen weißen Bart, einen roten Mantel und eine Bischofsmütze und führte einen goldenen Stab mit sich.

Das Nikolausfest in den Niederlanden

Alle holländischen Kinder wissen aus alten Liedern und Kinderreimen, daß Sinterklaas - der Name ist eine Verkürzung von Sint Nikolaas - in Spanien lebt. Warum gerade dort, weiß niemand so genau. In Spanien verbringt er jedenfalls die meiste Zeit des Jahres damit, sich in einem großen roten Buch Notizen über das Verhalten der Kinder zu machen, während sein Knecht, der Zwarte Piet, Geschenke für den nächsten 5. Dezember zusammenträgt. Anfang November besteigt Sinterklaas dann seinen Schimmel, der Zwarte Piet schultert seinen mit Geschenken gefüllten Sack, und zu dritt gehen sie an Bord eines Dampfers, der sie nach Holland bringt. Mitte November legen sie dann an - jedes Jahr in einer anderen Hafenstadt - und werden vom Bürgermeister und einer Abordnung der Bürgerschaft offiziell empfangen. Es folgt ein festlicher Umzug, der vom Fernsehen direkt übertragen wird. So können alle Niederländer den Auftakt zur Nikolauszeit live miterleben.

Der alte Bischof und sein treuer Diener sind plötzlich überall zugleich. Nachts reiten sie über die Hausdächer. Während Sinterklaas sein Ohr an die Schornsteine legt, um zu hören, ob die Kinder brav sind, sorgt der Zwarte Piet dafür, daß das Heu oder die Möhre, je nachdem, was die Kinder für das Pferd in ihren Schuh am Schornstein gelegt haben, gegen ein kleines Geschenk oder einige Süßigkeiten ausgetauscht wird. Tagsüber arbeiten sie sogar noch härter: Sie besuchen Schulen, Krankenhäuser und Supermärkte, Restaurants, Büros und zahllose Familien in ihren Wohnungen. Piet klingelt an den Türen, wirft Süßigkeiten durch den Türspalt und hinterläßt einen Korb voller Geschenke an der Eingangstür. Da Sankt Nikolaus und der Zwarte Piet natürlich unmöglich überall gleichzeitig sein können, werden die beiden von vielen "Hilfs-Nikolausen" unterstützt, die sich - in der Verkleidung des Bischofs und seines Helfers - im ganzen Land tummeln. Eine (hoffentlich) plausible Erklärung für die Kinder, die sich darüber wundern, wie denn der Nikolaus an verschiedenen Orten zugleich sein kann.

Auch die Niederländer sind an den Tagen vor dem Nikolausabend sehr beschäftigt. Es gilt, alle Geschenke einzukaufen und vor allem vorzubereiten! Nach alter Tradition müssen die Gaben nämlich phantasievoll verpackt werden, und zwar so, daß man den Inhalt nicht sofort erraten kann. Außerdem gehört zu jedem Geschenk ein passendes Gedicht. Es muß vor allem lustig sein, denn das wichtigste beim Sinterklaasfest ist der Humor. Es ist ein Fest, an dem Eltern, Lehrer und Kinder, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Freunde und Kollegen einander nicht nur auf den Arm nehmen dürfen, sondern es sogar tun sollen.

Zum Vergnügen gehört auch das Einpacken und Verstecken der Gaben. Der Empfänger muß unter Umständen sein Geschenk im ganzen Haus suchen. Ein paar Tips und Hinweise sollen ihm dabei helfen. Er muß damit rechnen, daß er in einer Kartoffelkiste wühlen, in einem Pudding herumstochern, in einem mit nassem Sand gefüllten Handschuh oder in irgendeiner verrückten Attrappe oder Puppe sein Glück versuchen muß. Wie gesagt wird auch zu jedem Geschenk ein Gedicht geschrieben. Diese Tradition verlangt schon einigen Einfallsreichtum. Der Schreiber kann sich so richtig austoben und sich über irgendeine Schwäche, eine Liebschaft, einen peinlichen Vorfall, eine komische Angewohnheit oder ein gut gehütetes Geheimnis des Empfängers lustig machen. Das Opfer packt vor aller Augen sein Geschenk aus und liest das Gedicht zum Vergnügen aller laut vor. Da jede Geschenküberraschung vom Nikolaus kommt, ist der tatsächlich Schenkende vermeintlich anonym. Der Beschenkte bedankt sich mit einem "Dankeschön, lieber Nikolaus!" laut und deutlich beim Nikolaus persönlich, ob er nun an ihn glaubt oder nicht. Überall in den Niederlanden tauchen um den 5. Dezember Nikolausgedichte auf: in den Zeitungen, den Schulen, am Arbeitsplatz, ja sogar in den beiden Kammern des Parlaments.

Die meisten Niederländer haben am 5. Dezember etwas früher Feierabend als gewöhnlich. Abends sitzt man dann gemütlich um den Tisch, auf dem sich die traditionellen Süßigkeiten und das Gebäck türmen - vertraute Attribute, seit die Maler des 17. Jahrhunderts uns das Fest aus ihrer Sicht schilderten. Große Schokoladenbuchstaben - die Anfangsbuchstaben der Vornamen aller Anwesenden - zeigen den Gästen ihren Platz. Auf dem Tisch finden sich auch die sog. Freier(innen), große Männer- und Frauenfiguren aus Spekulatius. Ein Korb mit geheimnisvollen Päckchen wartet genauso auf seinen Einsatz wie die Scheren, die griffbereit auf dem Tisch liegen. Nach dem Abendessen stürzen sich alle auf die Süßigkeiten, die Geschenke werden ausgepackt und die Gedichte der Reihe nach laut vorgelesen, so daß alle die Überraschung richtig genießen können. Das wichtigste dabei sind die Phantasie und die Mühe, die man sich mit einem Geschenk macht, nicht so sehr, was es gekostet hat. Gerade deshalb ist das Nikolausfest für jung und alt so ein fröhliches Ereignis.